In Zukünften zu denken kann man lernen (Interview mit Manuel Funk, Teil 2)

Ich habe mit Manuel Funk über Zukünfte, Innovationen und das Dilemma von Unternehmen und der hiesigen Wirtschaft gesprochen. Dies ist Teil 2 unseres Gesprächs; Teil 1 findet ihr hier zum Nachlesen.

Manuel Funk ist Experte für strategische Zeitreisen . Die Mission: Unternehmen dabei helfen, sich zukunftsfähig aufzustellen. Hierzu hat die von ihm gegründete Firma KNOWEAUX einen Prozess (Future Modeling) entwickelt, der Elemente aus der strategischen Zukunftsforschung mit Design Thinking und Experience Design verbindet

Ihr helft bei der Gestaltung langfristiger Visionen. Wie sind denn die im Hier und Jetzt hilfreich? Wenn klar ist, wo die Organisation hin will und warum, macht es das den Leuten leichter, innovativ zu sein?
“Unbedingt, eine langfristige und mutige Vision lässt Veränderung entstehen und setzt Kräfte im Unternehmen auf allen Ebenen frei. Ohne diese klare Orientierung kann Zukunft im Unternehmen nicht entstehen, es wird an inkrementellen Verbesserungen gearbeitet und in alle möglichen Richtungen geforscht weil völlig unklar ist wo das Unternehmen eigentlich hin will.”

Siehst du es in dem Zusammenhang als Problem, dass Unternehmen den Zwang haben, permanent wachsen zu müssen?
“Dass Unternehmen gewinnorientiert denken und wachsen müssen, ist völlig logisch. Aus meiner Sicht ist die entscheidende Frage daher ob künftiges Wachstum im alten oder im neuen System passieren soll. Dafür braucht es neben einer klaren Zukunfts-Vision für die neuen Systeme und Märkte auch entsprechende Strukturen und ausreichende Ressourcen.”

Immer mehr Arbeitsschritte und Aufgaben werden im Zuge der Digitalisierung automatisiert. Welche Fähigkeiten brauchen Menschen bei der Arbeit in Zukunft mehr, welche weniger?
“In Unternehmen wird heute viel zu viel Arbeitskraft in Tätigkeiten investiert, die komplett automatisierbar sind, weil die Prozesse und Strukturen veraltet sind. Viele unserer heutigen Tätigkeiten werden durch Algorithmen schneller und effizienter erledigt werden. Dann ist die Frage, was bleibt. Obwohl Algorithmen zunehmend auch kreative Leistungen zumindest unterstützen können, glaube ich dass viele menschlichen Fähigkeiten einen wesentlichen Mehrwert in automatisierten Umgebungen schaffen. Zum Beispiel im Bereich von Verstehen, Gestalten, Interpretieren und Träumen. Maschinen können nicht träumen, sondern lediglich algorithmisch berechnen, wie wahrscheinlich ein bestimmtes Ereignisse sein könnte.
Wir Menschen können uns dagegen verschiedene Zukünfte vorstellen, können uns überlegen wie wir als Unternehmen sein wollen, wie wir agieren, welche ethischen Standards wir haben, wie es sich anfühlen soll, mit uns in Kontakt zu treten. Das sind menschliche Fähigkeiten die heute oft zu kurz kommen und in Zukunft noch viel wichtiger werden. Dafür müssen wir aber völlig anders denken, arbeiten, ausbilden und lernen als bisher. Es ist ja nicht immer eine Gefahr, was Maschinen machen – Mensch und Maschine können und sollten gut zusammenarbeiten.”

Das ist eine sehr viel versöhnlichere Version der Digitalisierung, als das was man häufig in den Medien hört…
“Viele Jobs werden wegfallen und es ist für die Betroffenen sicher eher unversöhnlich, wenn man durch eine Maschine ersetzt und arbeitslos wird. Insgesamt sollten wir uns aber schon fragen, welchen Wert wir mit unserer Arbeit schaffen, zum Beispiel wenn wir den ganzen Tag in Meetings sitzen und Emails schreiben oder Excel-Tabellen ausfüllen. Ich denke, viele dieser Tätigkeiten werden auch automatisiert werden, weil sie einfach keinen Wert schaffen.”


Was macht dir denn Hoffnung, wenn du dich umschaust?
“Mir macht Hoffnung, dass wir heute wahnsinnig viele Möglichkeiten haben. Nie war der
Möglichkeitsraum grösser als heute. Wir wissen sehr vieles, wir haben enorme technologische Fähigkeiten, Daten und Ressourcen. Im Prinzip ist alles da, um die großen Herausforderungen der Welt zu lösen und unseren Planeten zu retten. Das macht mir Hoffnung und es gibt viele tolle Initiativen und Organisationen, die das Richtige tun – aber es sind viel zu wenige.”

Zum Future Modeling Prozess gehört auch das Bauen von sogenannten Prototypen. Das hilft, zu abstrahieren und die wesentlichen Bestandteile eines Zukunftsszenarios sichtbar und erfahrbar zu machen.

Ist es das, was dir Sorge bereitet, dass die Bereitschaft zur Veränderung noch zu dünn gesät ist?
“Was mir am meisten Sorge macht ist, dass wir sehenden Auges unsere Lebensgrundlage zerstören und als Individuen, als ökonomisches System und als Gesellschaft nicht entschlossen handeln. Wir brauchen ein klares Commitment zu klima-positivem Handeln auf allen Ebenen (Individuen, Politik, Wirtschaft). Unternehmen wie zum Beispiel Blackrock oder Microsoft haben in den letzten Wochen deutliche Entscheidungen in diese Richtung getroffen.”


Man kann ja auf zweierlei Arten drauf schauen: Man kann sagen wir verurteilen das, weil dieses Vorgehen aus der Denke der Profitmaximierung heraus kommt oder man kann sagen «alles was funktioniert ist gut» und wenn es den gewünschten Effekt hat, gibt‘s kein Problem. Wie siehst du das?
“Dem Planeten ist es zunächst mal ziemlich egal, warum Unternehmen jetzt umdenken. Wichtig ist, wir müssen jetzt alle handeln und die Unternehmen die vorangehen können sicher auch wirtschaftlich von dieser Haltung profitieren.”

Du hilfst Organisationen dabei, wünschenswerte Zukünfte zu gestalten. Warum ist das relevant? Man könnte sich ja fragen: Passiert die Zukunft denn nicht automatisch, ohne dass man sie gestaltet? Und was kann schon ein einzelner, kleiner Player mit seiner Vision ausrichten, wenn da die großen Tech Giganten wie Google und Amazon dieser Welt sowieso ihren eigenen Stempel aufdrücken?
“Ich finde es interessant, dass selbst sehr große Unternehmen Zweifel haben, ob und wie sie Zukünfte gestalten können. Es sind ganz einfache wirtschaftliche Fragen, die sich jedes Unternehmen stellen sollte: Wollen wir für uns wünschenswerte Zukünfte aktiv mitgestalten und vorantreiben und damit eine tragende Rolle in künftigen Systemen und Märkten spielen? Oder überlassen wir die Gestaltung der Märkte anderen Unternehmen? Unternehmen die hier eine zögerliche oder passive Rolle spielen zahlen einen hohen Preis dafür, riskieren Marktanteile und einen erheblichen Teil der Wertschöpfung in ihren Märkten.”


Kannst du ein Beispiel für diesen Effekt der verschobenen Wertschöpfung nennen?

“Zum Beispiel sind Banken heute alle gezwungen, fremde Systeme wie PayPal oder ApplePay anzubieten. Ich habe gerade einen TV-Spot gesehen, in dem die Sparkasse ganz stolz verkündet, dass sie jetzt ApplePay für die Kunden integriert. Dabei haben es die europäischen Finanzinstitute schlichtweg verpasst, eigene kundenfreundliche Payment Services zu entwickeln und zahlen nun stattdessen bei jeder Transaktion hohe Gebühren an Konkurrenz-Anbieter die sie jahrelang verhindern wollten.”

Durch Globalisierung und Digitalisierung verändern sich Wertschöpfungsketten und ganz neue Player schalten sich zwischen den Konsumenten und bisherige Marktführer. Diesen technologischen und vernetzten Wandel gilt es, aktiv mitzugestalten anstatt nur zu reagieren.


Hätte man das anders handhaben können, wenn man vor zehn Jahren abgesehen hätte, wohin die Entwicklung geht, um dann ein eigenes System für Deutschland oder Europa aufzubauen?
“Ja, ich glaube Europa und seine Firmen haben in fast allen Bereichen verschlafen, Zukünfte selbst zu gestalten. Das heißt nicht, dass wir wirtschaftlich untergehen, es heißt aber dass immer mehr digitale Wertschöpfungsbereiche von anderen Anbietern integriert werden müssen, was die Marge und die Bedeutung hiesiger Firmen deutlich schmälert. Außerdem wird oftmals die Schnittstelle zum Endkunden nicht mehr selbst beherrscht und Tech-Konzernen oder Startups überlassen.”

Und das ist dann die Disruption, mit der der bisherige Marktführer nicht zurechtkommt?
“Es sind oft kleine Details, die zuerst gar nicht für so bedeutsam wirken. Zum Beispiel dass sich unsere Smartphones automatisch mit Fahrzeugen verbinden und dabei die Systeme des Herstellers komplett umgehen. Apple oder Android weiß, welche Musik ich höre und wo ich hinfahre und verwertet alle Daten, während die Fahrzeughersteller nur die Hardware und den Monitor bereitstellen und Lizenzen dafür bezahlen, dass die eigenen Systeme umgangen werden.”


Das ist ein sehr deutliches Beispiel, das den Verlust für die traditionellen Firmen schön darstellt und es plastisch macht worum es geht.
“Es sind meist vorhersehbare Entwicklungen, die nicht ausreichend vorausgedacht wurden.
Future Modeling unterstützt Unternehmen dabei, frühzeitig Szenarien zu Systementwicklungen zu erforschen und entsprechende Antworten zu finden.”

Du sagst, euer Ansatz erlaubt es, dass man vordenkt, was in Zukunft kommt und welche Rolle man als Organisation darin spielt. Euren Prozess habe ich ja selber auch durchlaufen dürfen und ich fand er macht Spaß und ist sehr inspirierend. Was würdest du sagen, wenn dich jemand fragt, wie wissenschaftlich fundiert und zuverlässig das Ganze ist?
“Die Zukunft lässt sich mit keinem Prozess vorhersehen, aber durchaus aktiv mitgestalten. Entscheidend ist es, den Möglichkeits- und Entscheidungsraum der Unternehmen zu vergrößern und aktiv mögliche Szenarien und Visionen voranzutreiben. Unser Ansatz basiert auf verschiedenen wissenschaftlich Methoden und wurde in den letzten 3 Jahren in vielen Unternehmen und Konzernen erfolgreich eingesetzt. Wichtig ist, dass sich die Entscheider im Unternehmen selbst in die Gestaltung wünschenswerter Zukünfte einbringen, da es andernfalls keine ausreichende Unterstützung zur Umsetzung der ausgearbeiteten Szenarien gibt. Daran scheitern viele klassische Foresight-Prozesse.


Zwei gewünschte Effekte des Future Modeling Prozesses (zusätzlich zur Strategiefinding): Aufbau von Zukunftskompetenzen innerhalb des Teams und eine tiefe Identifikation mit der gemeinsam erarbeiteten Vision, was die Umsetzung vereinfacht

Wie meinst du das?
“Wissen allein trifft keine Entscheidungen. Dass Verbrennungsmotoren nicht gut für die Umwelt sind, haben wir vor zehn Jahren auch schon gewusst, aber erst jetzt werden bei vielen Herstellern die Weichen für alternative Antriebe gestellt. Zukunftsvisionen sind nur dann hilfreich, wenn die Entscheider im Unternehmen sie selbst kreiert haben. Nur dan glauben sie daran und können danach handeln. Das führt natürlich in manchen Unternehmen zunächst zu recht offensichtlichen Szenarien, weil viele Manager nicht gelernt haben visionär zu denken. Aber unser iterativer Prozess nähert sich schrittweise der optimalen Balance zwischen utopischen Moonshots und realistisch umsetzbaren starken Visionen. Future Modeling ist auch ein Lernerlebnis mit einem Set an Fähigkeiten das wir im Rahmen der strategischen Zeitreisen trainieren. Das heißt, jedes Mal wenn ein Unternehmen die neun Future Modeling Schritte durchläuft, lernen die Beteiligten, anders zu denken.”


Kann man sagen, dass dieser Lernprozess eine gewünschte Nebenwirkung eures Ansatzes zur Strategiefindung ist?
“Nein, es ist viel mehr als eine Nebenwirkung. Das Future Modeling Framework besteht aus zwei Komponenten: Einerseits ist Future Modeling ein standardisierter Prozess, um in die Zukunft zu reisen und zurück, um zukunftsfähige Services und Organisationen zu entwickeln. Gleichzeitig ist Future Modeling auch ein Set an zukunftsrelevanten Fähigkeiten. Diese Fähigkeiten werden während der strategischen Zeitreisen oder Trainings in unserer Akademie praktisch erlernt.”


Also fahrt ihr da zweigleisig – Strategie und Weiterbildung?
“Genau, denn wir finden das gehört zusammen. Die von uns trainierten Fähigkeiten unterstützen die Teilnehmer bei der aktiven Gestaltung von zukunftsrelevanten Strategien, Produkten und Services. Darum empfehlen wir, dass zumindest ein Teil der Mitarbeiter in zukunftsgerichtetem Denken ausgebildet wird. Wenn Menschen mit der Methode vertraut sind, dann können sie diese Schritte immer wieder durchlaufen und sich immer wieder an Veränderungen anpassen.”

“Wir wünschen uns, dass unser Ansatz als eine Art Standard-Toolset in die strategische Planung einfließt und neben anderen Methoden seinen Platz findet im Baukasten größerer Unternehmen. Deswegen lehren wir die Methodik auch regelmäßig an verschiedenen Business Schools und Universitäten, um sie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen.”

Wie definiert ihr bei KNOWEAUX Erfolg?
“Da sehe ich verschiedene Ebenen. Der direkteste Erfolgsfaktor ist wenn wir in einzelnen Menschen oder in Gruppen ein Mindshift-Erlebnis erzeugen und sie zum kritischen Umdenken und Hinterfragen bringen. Auf der nächst höheren Ebene möchten wir dazu beitragen, dass das ganze Unternehmen umdenkt und aktiv Zukünfte strategisch mitgestaltet. Wir wissen aber auch, dass es dafür verschiedenste Faktoren braucht. Wir sehen Future Modeling dabei als Auslöser und können einen Handlungsimpuls setzen.
Insgesamt wünschen wir uns, dass unser Ansatz als eine Art Standard-Toolset in die strategische Planung einfließt und neben anderen Methoden seinen Platz findet im Baukasten größerer Unternehmen. Deswegen lehren wir die Methodik auch regelmäßig an verschiedenen Business Schools und Universitäten, um sie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen.”

Damit arbeitet ihr ja im Prinzip an eurer eigenen Abschaffung, oder? Dadurch dass ihr eurer Wissen teilt und es verfügbar macht ist die Welt dann nicht mehr auf euch als einzige Enabler angewiesen.
“Ja, das könnten wir auch gar nicht leisten. Wir haben zwar eine Reihe von Partnern und Beratern mit denen wir eng zusammenarbeiten und die wir ausbilden – aber eigentlich ist unser primäres Ziel, die Methode weiter zu entwickeln und zu etablieren. Wir arbeiten auch an einer Art Plattform, wo wir Teile des Programms digital und remote anbieten können. Das machen wir unter anderem deswegen, weil die Unternehmen Schwierigkeiten haben, sich zwei oder drei Tage aus dem Tagesgeschäft rauszuziehen. Darauf reagieren wir, indem wir Teile des Angebots unabhängig von Raum und Zeit anbieten können.”

Beim nochmaligen Lesen fällt mit gerade auf, dass dieser letzte Paragraph durch die aktuelle Pandemie-Entwicklung nochmal eine ganz andere Bedeutung bekommt. Wir hatten das Gespräch kurz vor der Eskalation der Krise durchgeführt, als von Ausgangssperren etc. noch nicht wirklich die Rede war.
Vielen Dank an Manuel für das Gespräch – ich wünsche dir und Amrei, dass ihr vielen Teams und Organisation dabei helfen könnt, wünschenswerte Zukünfte zu gestalten und zu realisieren. Organisationen wir die eure machen Mut und Lust auf die Zukunft!

Für alle, die sich den Prozess genauer anschauen wollen, gibt es hier den “Canvas” zum Herunterladen: https://www.knoweaux.com/canvas

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